
Die Harzüberquerungen
Im Jahr 1973 veranstaltete der Männerturnklub Bad Harzburg (MTK), wie in dieser Zeit üblich, eine Volkssportveranstaltung mit einer relativ kurzen Streckenführung um Bad Harzburg. Der Gastwirt Manfred Kaetz der damaligen Gaststätte „Löwenbräu“ wollte in dem Jahr ein weiteres Lokal in Osterode eröffnen und er kam auf eine gute Werbe-Idee: „Wir wandern von Gasthof zu Gasthof – eine Harzüberquerung“.

Die Kurverwaltung Bad Harzburg übernahm als Werbemaßnahme die Organisation und Verantwortung. Wer am Volkswandertag diese Extratour von rund 42 km von Bad Harzburg nach Osterode erwanderte, sollte bei der Ankunft ein Bier und eine Haxe erhalten. Statt der vom Wirt zu erwarteten etwa 30 Teilnehmer kamen über 300 Wanderer.
Darunter „studienhalber“ auch Horst Woick vom MTK-Vorstand. Es kam, wie es kommen musste, in Osterode zu einem großen Chaos. Allein die Bus-Rückfahrt für rund 300 Personen war an einem Sonntag-Nachmittag nicht zu organisieren. So endete die sportliche Veranstaltung für die Kurverwaltung mit einer guten PR – aber auch mit einem Verlust von 6000 DM.

Nach langen Beratungen wurde beschlossenen, diese für Bad Harzburg so werbewirksame Veranstaltung auch 1974 zu wiederholen. Sogar einen eventuellen Verlust sollte die Kurverwaltung übernehmen, erhielt allerdings den klaren Auftrag, besser keine weiteren Verluste zu verursachen.
Aber es kam trotz etwa 800 Teilnehmern anders. Der nächste Verlust betrug 8000 DM und diese im weiten Umland so attraktive Wanderung über den Harz wurde von Seiten der Kurbetriebsgesellschaft und der Stadt eingestellt.
Horst Woick als MTK-Teilnehmer, aber auch als Tiefbauingenieur bei der Stadt Bad Harzburg, sah eine andere Möglichkeit, diese Veranstaltung mit einer guten Organisations- und Finanzierungsform ohne weitere Verluste durchzuführen. Zusammen mit dem damaligen 1. Vorsitzenden Horst Mayburg, der leider zu früh verstarb, konnte er den MTK-Vorstand davon überzeugen, die zukünftigen Harzüberquerungen jetzt in eigener Regie zu organisieren.

Horst Woick wurde hauptverantwortlicher Organisator der Harzüberquerungen und kurz darauf auch der 1. Vorsitzende des Vereins. Der MTK als Veranstalter wickelt nun die Anmelde- und Durchführungs-Formalitäten selbständig ab.
Die Anmeldegebühr wurde der voraussichtlichen Ausgabenseite mit einem Sicherheitsbonus angeglichen. Freikarten für „Prominente“ wurden grundsätzlich nicht mehr ausgegeben. Der Start, die fünf Kontroll- und Stempelstellen auf der Strecke und der Zielbereich werden vom MTK verantwortlich abgewickelt. Die Streckenbeschilderung wird mit mit Unterstützung des städtischen Bauhofes umgesetzt.

Die Teilnehmer erhalten an jeder Kontrollstelle den obligatorischen Stempel auf die Teilnehmerkarte, ein kostenloses Mineralwassergetränk, gesponsert von Bad Harzburger oder Okertaler Mineralbrunnenbetrieb. Ferner gibt es im Ziel eine im Startgeld enthaltene Suppe und vor allem die attraktive und wertvolle Erinnerungs-Medaille in Bronze.

Der Transport mit rund 40 Bussen zum Start im Südharz wird zwischen 7 und 9 Uhr durch die Kraftverkehrsgesellschaft (KVG) Bad Harzburg gegen Kosterstattung im Startgeld gewährleistet. Die wichtige Funkbrücke zwischen Start und Ziel wird durch die Freiwilligen Feuerwehren der Stadt Bad Harzburg (damals die einzige funktionierende Möglichkeit) aufrecht gehalten.
Im Gegenzug erhalten die Wehren die Genehmigung, bestimmte Getränke und Essen an den Kontrollstellen mit Gewinn zugunsten der Feuerwehr-Kameradschaftskassen zu verkaufen. Für alle eine sehr gute „win-win“-Situation! Das „Rote Kreuz“ im Kreis Goslar gewährleistet die Hilfe- und Gesundheitsversorgung bei der Veranstaltung.
Schon bei der ersten neuen Harzüberquerung im Jahr 1975 bewährt sich das System und mit 941 Teilnehmern und rd. 250 ehrenamtlichen Helfern wird es eine allgemein gelobte und vor allen Dingen auch eine finanziell erfolgreiche Veranstaltung. Diese besondere Wanderung spricht sich im weiten Einzugsbereich von Bad Harzburg schnell herum und „Die HARZÜBERQUERUNG“ des MTK wird nicht nur für den Verein, sondern auch für den Kurort Bad Harzburg ein voller Erfolg.

Die sehr ansprechenden Erinnerungsmedaillen mit unterschiedlichen Harzer Motiven kamen bei den Teilnehmern sehr gut an und waren begehrt. Die ständig steigenden Teilnehmerzahlen sprechen für sich. Das Krodobad als Zielort wird zu klein und die Galopprennbahn wird das neue Stadion für die Abschlussveranstaltungen, mit Teilnehmern und vielen Zuschauern.
Im Jahr 1982 wird der Rekord mit 5200 Teilnehmern erreicht. Aber nicht nur dieses, sondern auch die Probleme mit den Forstämtern, den Genehmigungsbehörden und dem Naturschutz allgemein nehmen zu, obwohl die Strecken nach Ende der Veranstaltung so sauber waren, wie nie zuvor! Auch ein großer Erfolg der Kontrollkräfte und Streckenwarte. Die weiteren Teilnehmerzahlen wurden auf maximal 4000 Personen eingestellt.
Dann kam eine neue Situation, die völlig überraschende Öffnung der Grenze zur DDR. Ein neues Wandergebiet mit dem Brocken als „Höhepunkt“ konnte nun erschlossen werden. Die Planung für das Jahr 1990 musste kurzfristig angepasst und schnellstmöglich erneuert werden. Der Brocken war die neue spektakuläre Zwischenstation.
Aber wer war in der damaligen Noch-DDR überhaupt zuständig? Horst Woick, inzwischen auch Kurdirektor von Bad Harzburg, hatte guten Kontakt zum neuen Kreisdirektor Dr. Michael Ermrich in Wernigerode (später Präsident des Gesamt-Harzklubs), und der befürwortete die neue Route über den Brocken.
Das sah die noch im Amt befindliche DDR-Regierung allerdings ganz anders. Am Tag der Veranstaltung kam aus Berlin das Verbot der Brockenbesteigung. Na ja, das hat sich dann von allein überholt. Die Harzüberquerung über den Brocken war auch Dank der beteiligten NVA (Nationale Volksarmee) ein voller Erfolg und die DDR-Regierung in Berlin war schnell Geschichte!
Aber die neue Landesregierung in Magdeburg war weiter dagegen und im Land Niedersachsen wurden die Widerstände und damit auch der Verwaltungsaufwand des MTK immer größer. Es war alles nicht mehr zeitgemäß.
Horst Woick hatte in seiner Funktion als Kurdirektor nach der Wende sehr viele neue Aufgaben und schied deshalb aus der weiteren Organisation von Harzüberquerungen aus. Der neue 1. Vorsitzende des MTK, Manfred Mattheis versuchte mit „Kalle“ Krückert noch eine weitere Harzüberquerung, aber die Einsicht siegte, dass die Mühen der Vorbereitung und der Genehmigungen zu viel des Guten sind. So verzichtete der MTK auf die Weiterführung der beliebten Harzüberquerungen.

Horst Woick ging in den Ruhestand, wurde aber ehrenamtlicher Wanderführer der neuen „Kurverwaltung“ (Kur-, Tourismus- und Wirtschaftsbetriebe der Stadt Bad Harzburg – KTW) und Waldführer im Nationalpark HARZ. Was lag nun also näher als die Harzüberquerungen mit einer neuen Organisation als Kurgastwanderung wieder aufleben zu lassen.
Jeweils mit einem Bus voller Wanderer und mit allen Forstverwaltungen streckenmäßig abgestimmt, wurde der gesamte Harz fächerförmig von den Südharzorten mit Harzüberquerungen überdeckt und nach Bad Harzburg erwandert. Nach vielen weiteren Harzüberquerungen musste Horst Woick seinem fortgeschrittenen Alter Tribut zollen und fand einen Nachfolger, damit die beliebten Harzüberquerungen auch zukünftig weitergeführt werden können.
Abschließend kann festgestellt werden, dass die vielen Harzüberquerungen durch den MTK finanziell immer mit einer sehr schwarzen Null endeten und für unseren MTK sportlich wie organisatorisch ein voller Erfolg waren. An dieser Stelle ist allen, die daran ehrenamtlich und egal in welcher Funktion beteiligt waren, sehr, sehr herzlich zu danken.
Es war eine eingeschworene Gemeinschaft, in der alle Beteiligten jeweils auf ihren mit Leidenschaft besetzten Posten das Bestmögliche getan haben. Es waren häufig schwer zu meisternde Situationen, aber am Schluss hat immer alles bestens geklappt. Unvergessen sind die vielen Probewanderungen, die vor der Veranstaltung für die „Kontroller“ und Behördenvertreter zusätzlich veranstaltet wurden.

Ob man heute noch so eine Großveranstaltung über so eine lange Strecke durchführen könnte, ist zweifelhaft. Es war damals ein Gemeinschaftswerk, wie es besser nicht hätte funktionieren können. Zur Ertüchtigung der Sportlichen und für Naturfreunde die den Harz in seiner Vielfalt kennlernen wollten.
Zur Förderung der Kameradschaft unter den Helfern und Organisatoren. Es war eine große Freude und Ehre für die Mitglieder des MTK, etwas Besonderes für die Allgemeinheit geschafft zu haben und letztlich damit für den gesamten Harz mit seinen verschiedenen touristischen Orten vom Start bis zum Ziel und vor allem den Gästen und Bewohnern gesamten Stadt Bad Harzburg!
Horst Woick 2018
Für alle, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, eine der historischen Harzüberquerung-Strecken zu erwandern, kramen wir in den Archiven der Bad Harzburg-Stiftung nach den Original-Unterlagen. Die Sammlung wird nach jedem Fund ergänzt. Ein Klick auf ein Bild öffnet die Galerie.
